Am Montag folgte eine weitere, genussreiche Kletteroute, welche uns die 20 Kilometer entfernte Sellagruppe bot. Über die 138 Meter lange Slalom-Führe bestiegen wir die Wasserfallpyramide über sechs Seillängen (IV+). Nach einem halbstündigen, unspektakulären Abstieg bot der Tag noch genügend Zeit für eine Runde Sportklettern in näherer Umgebung.
Am Dienstag starteten wir zur Kleinen Micheluzzi am Piz Ciavazes, circa 30 Autominuten vom Camping Colfosco entfernt. Am Parkplatz angekommen, schauten wir der 400 Meter hohen ausgesetzten Wand empor und wussten, dass die Kleine Michelouzzi mit ihren zehn Seillängen herausfordernder werden würde, als die bisherigen. Nach einem 15minütigen Fußmarsch erreichten wir den Einstieg. Die erste Hälfte der Route gestaltete sich beinahe gemütlich, während sich Klettern über Schrofengelände mit längeren Wartepausen stets abwechselten. Nach gut der Hälfte der Route begann eine steile Wandkletterei (IV bis V-) mit ausgesetzten Passagen in 250 Metern Höhe. Die „alten Hasen“ zeigten Respekt. Charlotte, die bis dato ihre meiste Zeit lediglich in sterilen Boulder- und Kletterhallen verbracht hatte, boten sich hingegen genügend Gelegenheiten an der exponierten Wand, die „Nähmaschine“ in ihren Beinen zu bestaunen. Um 18 Uhr kamen dennoch alle drei Seilschaften nacheinander wohlbehalten oben an. Trotz später Stunde erblickten wir sofort die nächste Herausforderung: voller Ironie belächelten wir den Umstand, dass wir uns beim Aufstieg auf ein Seil verlassen konnten, den Abstieg aber nun weitestgehend ohne Sicherung bewältigen würden müssen. Auf 400 m Höhe folgten wir zunächst einer grün bewachsenen Querung entlang der Südwand des Piz Ciavazes. Links von uns steil abfallendes Gelände, unter welchem die senkrechte Wand thronte, welche wir kurz zuvor erklommen hatten. Auf dem schmalen Weg war daher höchste Trittsicherheit gefragt. Das bunte Gemurmel der Gruppe verstummte. Dennoch konnten wir uns dem fantastischen Panoramablick nicht entziehen, als sich das warme, orangene Licht der tiefstehenden Abendsonne auf die zahlreichen Gipfel und Felsformationen der Dolomiten legte. Nach insgesamt 60 Gehminuten, gestückt mit steilen Schuttwegen, ungesicherten Klettereien und kurzen Abseilpassagen erreichten wir glücklich und erschöpft den Parkplatz und beendeten den Tag wenig später mit einem gemeinsamen Pizzaessen in Colfosco.