© Michael Klimas

Klettern in den Dolomiten

 

Unser Ziel: weg von der Kletterhalle – ran an die Felswände – und das über sechs Tage lang in der spektakulären Umgebung der Dolomiten. Nicht umsonst gehören Teile dieser Gebirgsgruppe seit 2009 zum UNESCO - Weltnaturerbe Dolomiten. Organisator und Dolomitenfan Michael Klimas hatte bereits letztes Jahr eine Gemeinschaftsklettertour hier her geplant, welche jedoch aufgrund der Witterungsbedingungen kurzerhand abgesagt werden musste. Dieses Jahr nun auf ein Neues. Eine bunt gemischte Gruppe von neun Leuten zwischen 32 und 61 Jahren mit unterschiedlichem Erfahrungsniveau im Mehrseillängenklettern fand sich zusammen, um die Dolomiten von oben aus zu entdecken.

Um die Natur der Südalpen noch intensiver zu erleben, entschieden wir uns für die Unterbringung auf einem Zeltplatz. Unser eindeutiger Favorit: Saas Dlacia Camping am Eingang des Naturparks Fanes-Sennes-Prags. Der von Kiefernwäldern umgebene, 1680 m hoch gelegene Zeltplatz überzeugte von Beginn an durch seine 250 Kletterouten in fußläufiger Entfernung sowie einem Wellnessbereich mit Sauna. Leider waren auch reichlich andere Dolomitenfans von dem Campingplatz begeistert, sodass sich unsere Reservierungsanfrage fünf Tage vor Reisebeginn als erfolgslos herausstellen sollte. Machte aber nichts – auf dem 13 km weiter westlich gelegenen Campingplatz Colfosco konnte für die neunköpfige Gruppe kurzfristig noch vorgebucht werden.

Am Samstag, dem 13. August 2022, verließen diverse Fahrgemeinschaften im Morgengrauen das schöne Thüringen in Richtung Italien. Bereits am Nachmittag hatten wir die 700 Kilometer hinter uns gebracht und fanden uns mit den anderen Gruppenmitgliedern in Colfosco (ladinisch Calfosch, deutsch Kolfuschg) zusammen. Auf dem gut besuchten Campingplatz schlugen wir unser Zeltlager auf einer grünen Wiese auf. Am Abend genossen wir auf unseren Campingstühlen den sternenklaren Himmel. Eingepackt in Daunenjacken und mit einer Tasse Tee in der Hand wunderten wir uns dann doch zeitweilig darüber, wie kühl ein Tag im August nach Sonnenuntergang enden kann.

Der Sonntag begann um 7.30 Uhr mit gemeinsamen Frühstück und Blick auf den 2665 Meter hohen Sassongher, welcher sich zunehmend im warmen Licht der Morgensonne badete. In Dreiergruppen studierten wir noch die von Michael ausgehändigten Topos der geplanten Mehrseillängentouren des heutigen Tages. Nachdem wir unsere Materialien wie Seil, Exen, Helme, Friends und Kletterschuhe zusammengepackt hatten, ging es mit dem Auto gerade mal 20 Minuten Richtung Westen zur Berggruppe der Cirspitzen nördlich des Grödner Jochs. Nach einem 50minütigem Zustieg Richtung Cirjoch erreichten wir die Englischen Türme– mehrere freistehende Felsformationen,die aus dem alpinen Gelände 60 bis 90 Meter hoch heraussprießen, als hätte man sie dort einst von Hand gesät.Hier bestiegen wir in Dreierseilschaften die Südwestwand des Contessina Turms über vier Seillängen (IV+) sowie die Nordwand des Geltrudeturms über drei Seillängen (III bis V-). Für die „alten Hasen“ der Gruppe eine absolute Genusskletterei, für die Neulinge ein angenehmer Einstieg ins Mehrseillängenklettern. Oben angekommen, genossen wir bei strahlendem Sonnenschein den Ausblick auf die Berglandschaft der Dolomiten und schauten interessiert den anderen Seilschaften an den nahstehenden Türmen zu. Auf dem Rückweg ließen wir den Tag auf der weitläufigen Terrasse der Jimmie-Hütte mit einem kühlen Getränk und Panoramasicht ausklingen.

Am Montag folgte eine weitere, genussreiche Kletteroute, welche uns die 20 Kilometer entfernte Sellagruppe bot. Über die 138 Meter lange Slalom-Führe bestiegen wir die Wasserfallpyramide über sechs Seillängen (IV+). Nach einem halbstündigen, unspektakulären Abstieg bot der Tag noch genügend Zeit für eine Runde Sportklettern in näherer Umgebung.

Am Dienstag starteten wir zur Kleinen Micheluzzi am Piz Ciavazes, circa 30 Autominuten vom Camping Colfosco entfernt. Am Parkplatz angekommen, schauten wir der 400 Meter hohen ausgesetzten Wand empor und wussten, dass die Kleine Michelouzzi mit ihren zehn Seillängen herausfordernder werden würde, als die bisherigen. Nach einem 15minütigen Fußmarsch erreichten wir den Einstieg. Die erste Hälfte der Route gestaltete sich beinahe gemütlich, während sich Klettern über Schrofengelände mit längeren Wartepausen stets abwechselten. Nach gut der Hälfte der Route begann eine steile Wandkletterei (IV bis V-) mit ausgesetzten Passagen in 250 Metern Höhe. Die „alten Hasen“ zeigten Respekt. Charlotte, die bis dato ihre meiste Zeit lediglich in sterilen Boulder- und Kletterhallen verbracht hatte, boten sich hingegen genügend Gelegenheiten an der exponierten Wand, die „Nähmaschine“ in ihren Beinen zu bestaunen. Um 18 Uhr kamen dennoch alle drei Seilschaften nacheinander wohlbehalten oben an. Trotz später Stunde erblickten wir sofort die nächste Herausforderung: voller Ironie belächelten wir den Umstand, dass wir uns beim Aufstieg auf ein Seil verlassen konnten, den Abstieg aber nun weitestgehend ohne Sicherung bewältigen würden müssen. Auf 400 m Höhe folgten wir zunächst einer grün bewachsenen Querung entlang der Südwand des Piz Ciavazes. Links von uns steil abfallendes Gelände, unter welchem die senkrechte Wand thronte, welche wir kurz zuvor erklommen hatten. Auf dem schmalen Weg war daher höchste Trittsicherheit gefragt. Das bunte Gemurmel der Gruppe verstummte. Dennoch konnten wir uns dem fantastischen Panoramablick nicht entziehen, als sich das warme, orangene Licht der tiefstehenden Abendsonne auf die zahlreichen Gipfel und Felsformationen der Dolomiten legte. Nach insgesamt 60 Gehminuten, gestückt mit steilen Schuttwegen, ungesicherten Klettereien und kurzen Abseilpassagen erreichten wir glücklich und erschöpft den Parkplatz und beendeten den Tag wenig später mit einem gemeinsamen Pizzaessen in Colfosco.

Nach der recht langen und kräftezerrenden Kletterei des Vortages stand am Mittwoch eine kürzere, aber sehr abwechslungsreiche Tour für einen Teil der Reisegruppe auf dem Plan: die Via Proiettili – eine 190 Meter lange Route über sechs Seillängen an der Südwand des Kleinen Lagazuoi (2778 m). Die unermüdliche Seilschaft um Chris, Andreas und Christin entschied sich hingegen für eine 300 meterlange Route auf die Pyramide des Col dei Bos (elf Seillängen). Wir fuhren mit unserer Autokolonne zunächst gemeinsam zum 30 Minuten entfernt gelegenen Falzaregopass, von wo aus auch ganz nebenbei Sportklettergärten (Sass de Stria) und einige Klettersteige (Ferrata Fusetti, Ferrata degli Alpini) zu erreichen sind. Nach der Hälfte des Zustiegs trennte sich unsere Gruppe. Die zwei Seilschaften um Michael bogen nach Westen ab. Am Fuße des Lagazuoi erfolgten zahlreiche Versuche, Ähnlichkeiten zwischen den vor uns befindlichen Felsformationen mit der im Kletterführer abgedruckten Via Proiettili zu entdecken. Trotz längerer Topostudien, wilden Interpretationskünsten und ausgefeilten Argumentationen, vor der ersehnten Kletteroute zu stehen, war jedoch auch nach eineinhalb Stunden keiner von uns so richtig davon überzeugt. Wir entschlossen uns kurzerhand, aufs Sportklettern umzuschwenken und verbrachten den Nachmittag im Klettergarten an der Südwand des Lagazuoi, welcher 26 Routen in unterschiedlichsten Schwierigkeitsgraden bot. Auf dem Rückweg nach Colfosco konnten wir dann letzten Endes doch noch die von uns so lang gesuchte Via Proiettili erblicken – diese befand sich nämlich über 400 Meter weiter westlich im linken Sektor der Südwand. Wir hatten von Beginn an einfach nur zu weit östlich geparkt.

Noch lagen Donnerstag und Freitag vor uns. Doch ein Blick auf die Wettervorhersage der nächsten zwei Tage ließ uns daran zweifeln, den Rest der geplanten Woche für weitere Kletterabenteuer nutzen zu können. Am nächsten Morgen, als wir bei Gewitter und dem monotonen Prasseln des Regens auf die Zeltwände erwachten, wussten wir, dass wir den Urlaub vorzeitig beenden würden müssen. Kurz war er – ja das stimmt – aber intensiv. Für den August 2023 steht daher bereits eine weitere Klettergemeinschaftstour in den Dolomiten auf den Plan. Denn neben Sportklettergärten und zahlreichen weiteren MSL-Touren punktet die Gegend auch noch mit abwechslungsreichen Klettersteigen wie dem Pisciadu (Schwierigkeit C), dessen Einstieg in 60 Gehminuten vom Camping Colfosco aus erreicht werden kann. Wir können es kaum erwarten.

Bericht: Charlotte Klimas/ Fotos: Michael Klimas